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1. Dezember 2019 10 Jahre Lissabon-Vertrag: In Vielfalt geeint!

 

Die Europäische Union: In Vielfalt geeint


Hochkarätige Festakte in Koblenz und in Brüssel


Der letzte große Meilenstein im Zusammenwachsen der Europäischen Union ist am 1.12.2009 in Kraft getreten, der sog. LISSABON-VERTRAG. Tatsächlich handelt es sich dabei um die Europäische Verfassung, die wegen anfänglicher Ablehnung durch zwei Volksabstimmungen in ein paar Punkten geändert wurde. Das zehnjährige Bestehen wurde am 1. Advent doppelt gefeiert: In Brüssel präsentierten sich die vier neuen EU-Präsident*innen: die deutsche Ursula v. der Leyen (Kommission), der Italiener David Sassoli ( Parlament), der Belgier Charles Michel (Rat) und die Französin  Christine Lagarde (EZB). Sie signalisierten, dass sie den Vertrag  mit neuem Leben erfüllen und ihn wohl auch weiter entwickeln wollen. In Koblenz fand der Festakt im Historischen Rathaussaal statt. Mit den Veranstaltern, Pulse of Europe Koblenz und Casino zu Coblenz sowie dem Festredner, Prof. Dr. Gregor Kirchhof waren etwa siebzig deutsche Europäer*innen aus Stadt und Region gekommen, darunter auch viele Ratsmitglieder.
Die Kulturdezernentin der Stadt Koblenz, Frau Dr. Theis-Scholz umriss in Ihrer Einführungsrede die wichtigsten Verbesserungen dieses Dokuments gegenüber früheren Verträgen. So sind die Rechte des Europäischen Parlaments sehr verstärkt worden. Die Grundrechtscharta ist verbindlich geworden für die EU wie für die Nationalstaaten, so dass jeder Bürger nun selbst seine Rechte ggfs. vor dem Europäischen Gerichtshof einklagen kann. Die Ziele und Werte der Union sind ausgeweitet und klar definiert worden. Dazu gehört u.a. die soziale Gerechtigkeit. Aber auch die Rechte der nationalen Parlamente und damit das Subsidiaritätsprinzip sind gestärkt worden. Dennoch sind neue Handlungsfelder für die Union aufgenommen worden wie z.B. der Klimawandel und die Energiesolidarität. In heutigen Zeiten - besonders wichtig  - soll auch eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik geschaffen werden.
Der beeindruckende Gastredner, Gregor Kirchhof von der Universität Augsburg, ein optimistischer engagierter Europäer, der sich seit langem mit der Weiterentwicklung und Bestandsfähigkeit der Europäischen Union befasst, zeigte sich als ein sehr aufgeschlossener und profunder Kenner der Diskussionen, um Rechte und Möglichkeiten der EU Europa zu gestalten. Er zeichnete in großen Schritten die Entwicklung hin zur EU nach, die er in zwei Teilen sieht: zuerst die Entwicklung des Binnenmarktes bis Ende der achtziger Jahre mit der Erweiterung von sechs auf zwölf Mitglieder - zum Zweiten die von der Währungsunion bis hin zum Lissabon-Vertrag mit über die Jahre hinweg immer mehr gewachsenen Kompetenzen. In dieser zweiten Periode ist die EU einerseits sehr in die Breite gewachsen bis zu heute 28 Staaten, andererseits in die Tiefe. So sehr er die Erweiterung hin nach Osteuropa begrüßt und als historische Errungenschaft ansieht, so analysiert  er andererseits, dass die Strukturen nicht entsprechend mitgewachsen seien und dass daraus Probleme entstehen. Er befürwortet daher eine neue Balance zwischen den National-Staaten und der EU. Die Demokratie müsse durch die Ausweitung der Kompetenzen des EU-Parlaments weiter gestärkt werden. Mindestens einmal im Jahr müsse es z.B. am Europatag, dem 9. Mai, eine Generaldebatte geben sowohl im Europa-Parlament wie auch in allen nationalen Parlamenten, um wichtige europäische Fragen und die Perspektiven für Europa zu diskutieren und die Beziehung der Völker zur Demokratie und zu Europa und die Wechselwirkung zu stärken und damit die Zivilgesellschaft einzubeziehen und zu aktivieren. Ansonsten solle Europa aber nur die Richtlinien vorgeben und den verschiedenen Staaten die Durchführung überlassen. Nicht umsonst hieße sein Vortrag: Europa in Vielfalt geeint. Darin komme eine Ambivalenz zum Ausdruck, die Europa aber nicht schade, sondern von der es profitiere. Das bedeute auch, dass die EU-Richtlinien in den Staaten durchaus unterschiedlich durchgeführt werden könnten. Eine Überregulierung berge die Gefahr, dass die Fliehkräfte zu stark werden könnten.
Sehr glücklich zeigte der immer wieder für Europa werbende Europäer Kirchhof sich über die Inaugurationsrede der neuen Kommissionspräsidentin, Frau v. der Leyen mit ihren sechs Hauptpunkten und der Aufbruchsstimmung, die sie erzeugt hat. So wolle sie z.B. einen Bürgerdialog institutionalisieren, was er für sehr sinnvoll halte und was Pulse of Europe auf seine Art ja auch bereits in vielen Städten in Europa versucht habe.
Er warnte aber z.B. davor,  den deutschen Sozialstaat auf Europa zu übertragen. Denn es gebe keinen Steuerstaat in Europa - d.h. Europa habe bisher keine eigenen Einnahmen außer dem Geld, das die Staaten überweisen. Auch für andere Bereiche gelte es, genau hinzuschauen, was zusammenpasst. Deshalb könne man die soziale Architektur von Europa nicht so einfach  verändern. Mit Lenkung von Geldströmen erzeuge man keine Solidarität,  ebenso wenig mit Verboten, denn die zum Geben Gezwungenen sähen die Sache ganz anders als die Empfänger. Stattdessen solle Europa ein Europa der Tat sein. Es müsse die Staaten stärken, damit sie handeln könnten. Auch der Binnenmarkt müsse neu - mit weniger Regeln, die lähmen - justiert werden. Die Kraftquellen der Staaten und der Zivilgesellschaft müssten gestärkt werden. Die normative Kraft der Gesellschaft sei oft größer als die Rechtssetzung, die Grenzen habe. Das Recht könne eine Gesellschaft auch spalten. Traditionen und ungeschriebene Regelungen seinen für den Zusammenhalt von großem Wert.
Dem Vortrag folgte eine lebhafte und lange Diskussion, in der z.B. eingefordert wurde, die Bankenunion zu vollenden. Der aufgeschlossene  Gastredner gestand zu, dass z.B. bei Schieflage von Banken oder Staaten die Kompetenzen der EU noch nachgebessert werden müssten, um z.B. rascher einsetzbar zu sein. Die enormen Einsparpotentiale einer zusammen geführten europäischen Rüstungsproduktion - derzeit fast 180 verschiedene Waffen-Systeme - und die dringende Notwendigkeit, zu einer einheitlichen Verteidigungspolitik zu kommen, wurden hervorgehoben. Die Tatsache, dass Europa schon 2020 seine Ausgaben für Klimapolitik überproportional erhöht hat, stimmte die Versammelten optimistisch. Insgesamt bestand Einigkeit darin, dass die EU unverzichtbar und einzigartig in ihrer geeinten Vielfalt ist und sowohl nach innen wie auch nach außen weiter entwickelt werden muss, u.a. auch um die vor allem im Osten des Kontinents auf Aufnahme Wartenden nicht zu enttäuschen. In Bezug auf etwaig wünschenswerte Vereinigte Staaten von Europa wurde allerdings von einer eher ferneren Zukunftsvision gesprochen.

 

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 Walter Richters Fotoserie:

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