An Europa-Interessierte: Enttäuschungen und Realitäten
Überlegungen aus dem Kreis von Pulse of Europe Koblenz
Zunächst ist da die Enttäuschung, dass keine/r der Spitzenkandidaten als Kommissionspräsident zum Zuge gekommen ist.
Manfred Weber fuhr noch in der Wahlnacht nach Brüssel, um Mehrheiten für die stark ramponierte EVP-Fraktion und für sich als Spitzenkandidat zusammen zu bekommen. Aber nach den starken Verlusten gelang ihm das nicht.
Das Tableau, das dann ausgehandelt wurde (in Osaka) mit Herrn Timmermanns aus den Niederlanden an der Spitze konnte wohl auch nicht die Mehrheit der Abgeordneten bzw. verschiedener Fraktionen auf sich vereinen. Auch zu viele Staatschefs lehnten einen Sozialdemokraten ab.
Demokratisch bleibt es aber nur dann, wenn es einem Kandidaten gelingt, das Vertrauen einer großen Mehrheit zu finden. Da reicht es leider auch nicht, wenn das im Parlament gelänge. Denn gerade ein Kommissionspräsident hat als vörderste Aufgabe, Europa zusammen zu halten.
Nun muß man natürlich bedenken, dass die Spitzenkandidaten bisher nur in dem Land, aus dem sie kommen wählbar sind. Solange, wie es keine transnationalen Listen gibt, bleibt das so. Macron hatte sich für solche Listen eingesetzt. Weber hatte diese mit der EVP noch kurz vor der Europawahl verhindert. Er hat sich damit nicht unbedingt als demokratischer Europäer hervor getan. Wohl auch daher rührt Macrons Vorbehalt gegen das Spitzenkandidaten-Modell.
In Deutschland kann z.B. eine Partei, die alleine nicht die Mehrheit hinter sich vereint, die aber eine Koalition zustande bringt, eine/n Ministerpräsidenten bzw. den Kanzler stellen, ohne, dass diese/r notwendigerweise Spitzenkandidat war. Das kann sogar eine Partei sein, die nicht die größte Partei geworden ist.
Das Neue jetzt ist wohl, dass das Europäische Parlament - fälschlicherweise - davon ausging, dass die Mehrheitsverhältnisse auch in der Zukunft so stabil sein würden, dass eine/r der Kandidaten genügend Unterstützer hinter sich versammeln könnte. Aufgrund der starken Verluste der großen Parteien ist die Situation aber jetzt eine andere.
Wir finden es nun aber klug, dass nach einem Tableau gesucht worden ist, hinter dem zumindest mal alle Regierungen stehen. Wir hätten es sehr schlecht gefunden, wenn z.B. die Osteuropäer von Beginn an abseits gestanden hätten bzw. überstimmt worden wären. Die Gefahr, dass Europa noch weiter auseinander driftet, wäre dann noch größer geworden.
Zwar hätten wir keineswegs gedacht, dass die Osteuropäer Frau von der Leyen stützen würden. Aber darin kommt wohl die Hoffnung Vieler und gerade der Ost- und Nord- Europäer, aber auch wohl von Frankreich zum Ausdruck, dass dann mehr für Verteidigung und auch für die gemeinsame europäische Verteidigung getan werden wird und dass Deutschland endlich dem 2% Ziel schneller näher kommt. Die Angst vor Rußland, das z.B. im Norden von Europa ständig mit Attacken versucht zu provozieren, ist aus aktueller und historischer Erfahrung sehr groß.
Frau von der Leyen muß natürlich jetzt darüber hinaus ihre Europa-politischen Ideen konkretisieren und dann ebenfalls eine Mehrheit des Parlaments hinter sich vereinen. Dieser Prozess muß so transparent wie möglich sein.
Unser Eindruck ist, dass ein starres Festhalten am Spitzenkandidaten-Modell in der neuen gegebenen Situation nicht hilfreich und nicht sinnvoll gewesen wäre.
Immerhin sind nun sogar zwei starke Frauen im Tableau nominiert, beide ausgewiesene Europäerinnen. Vielleicht tut das ja Europa gut. Möglicherweise helfen diese Überlegungen den Lesern und Leserinnen ein bisschen, die Wogen zu glätten und Enttäuschungen zu überwinden.
Dr. Jutta Lange-Quassowski 4./5.Juli 2019
Prof. Dr. Bernd-Peter Lange